- spanische Philosophie
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die in Spanien entwickelten philosophischen Denkansätze, Systeme und Richtungen sowie deren Vertreter. Als Beginn der spanischen Philosophie wird häufig das Werk von R. Lullus (13. Jahrhundert) angesehen, der erstmals in einer Volkssprache (Katalanisch) schrieb. Kastilisch wurde erst von Pérez de Oliva (* 1495, ✝ 1532) als Medium der Philosophie verwendet. Nach anderer Auffassung gilt bereits der aus dem heutigen Córdoba stammende Stoiker Seneca der Jüngere (1. Jahrhundert) als Vertreter der spanischen Philosophie. Nach der Antike wirkte Isidor von Sevilla durch die enzyklopädische Vermittlung patristisch-philosophischen Wissens in Spanien und darüber hinaus. Mit dem Eindringen der Araber entfaltete sich die islamische Philosophie mit Ibn Badjdja (Avempace) und v. a. Ibn Ruschd (Averroes), später entwickelte sich die jüdische Philosophie mit S. B. J. Ibn Gabirol (Avicebron) und M. Maimonides. Durch arabisch-jüdische Philosophen sowie durch Dominicus Gundissalinus wurde - v. a. mithilfe der Übersetzerschulen in Toledo und Salamanca - das griechisch-antike und arabisch-jüdische Gedankengut an das christliche Abendland vermittelt. Die christliche Philosophie wurde im 12. Jahrhundert bestimmt von der Logik (»Summulae logicales«) des Petrus Hispanus, des späteren Papstes Johannes XXI. Lullus strebte eine Universalwissenschaft auf der Grundlage einer logischen Kombinatorik an (Ars magna, Ars combinatoria). Die Eroberung Amerikas führte zu kontroversen theologisch-juristischen Diskussionen. Der Aristoteliker J. G. de Sepúlveda rechtfertigte sie; der Missionar B. de Las Casas und der Thomist F. de Vitoria verurteilten die Plünderungen an den Indianern als Verstöße gegen das Völkerrecht. Mit Vitoria, dem Begründer des modernen Völkerrechts, begann eine Epoche großer geistiger Regsamkeit unter scholastischem Einfluss (Barockscholastik, Barock), v. a. an der Universität Salamanca und besonders vertreten durch G. Vázquez und F. Suárez; dieser führte die Entwicklung des internationalen Rechts auf der Basis des Naturrechtgedankens fort und wirkte auch auf die Aufklärung, die sich in Spanien aber kaum durchsetzte. Seine philosophische, von der Theologie unabhängige Methodologie beeinflusste die europäische Universität des 17. und 18. Jahrhunderts Der Epoche des Barock gehörten auch Domingo de Soto (* 1494, ✝ 1560), D. Báñez, L. de Molina, Juan de Mariana (* 1536, ✝ 1623) und Juan de Santo Tomás (* 1598, ✝ 1644) an. In der spanischen Mystik des 16. Jahrhunderts ragen die heilige Theresia von Ávila und der heilige Johannes vom Kreuz (Juan de la Cruz) mit ihrem Symbolismus hervor. - Das katholische Spanien des 19. Jahrhunderts fand Ausdruck in dem Thomismus von J. L. Balmes, dem Traditionalismus des J. Donoso Cortés und in der Ideengeschichte des M. Menéndez y Pelayo. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erschien der Krausismus im Werk von Juan Sanz del Río (* 1814, ✝ 1869). - Die kollektive Neubesinnung Spaniens nach dem Verlust der überseeischen Kolonien schlug sich in der Literatur und Philosophie der Generation von 98 nieder. So setzte M. de Unamuno y Jugo einem rationalistisch und abstrakt gefassten Menschenbild den konkreten, von lebendigem Gefühl und tiefem Glauben getragenen Menschen entgegen, während die Lebensphilosophie J. Ortega y Gassets die Geschichtlichkeit des Menschen betonte und einen Ratiovitalismus vertrat. Wie dieser gingen viele Repräsentanten des spanischen Geisteslebens infolge des Bürgerkriegs ins Exil, überwiegend nach Lateinamerika. Zu den Schülern Ortega y Gassets zählen José Gaos (* 1902, ✝ 1969), der den Gedanken der Geschichtlichkeit fortführte, María Zambrano mit ihrem Konzept einer poetischen Vernunft und Julián Marías (* 1914) als Interpret und Systematiker der Philosophie von Ortega y Gasset. Die neuere Philosophie wurde auch geprägt durch den Katalanen E. d'Ors i Rovira, der philosophische wie auch literarische, kunstgeschichtliche, wissenschaftliche und politische Themen behandelte. X. Zubiri entwickelte eine realistische Metaphysik. Juan David García Bacca (* 1901, ✝ 1992) setzte sich mit Logik und Wissenschaft vor marxistischem Hintergrund auseinander; bekannt wurde er auch als Übersetzer der Werke Platons. Für den Integrationalismus von José Ferrater Mora (* 1912, ✝ 1991) stehen alle Realitäten in einem Kontinuum zwischen zwei Extremen, die Grenzbegriffe bilden (z. B. Realismus-Idealismus). Spanien ist im 20. Jahrhundert durch eine Vielfalt philosophischer Strömungen gekennzeichnet, in denen sich Einflüsse und Entwicklungen westlicher Philosophie niederschlagen: Neuscholastik und neuer Katholizismus (Ángel Amor Ruibal, * 1869, ✝ 1930; Antonio Millán Puelles, * 1921; J. L. Aranguren; José Gómez Caffarena, * 1925); Marxismus (Manuel Sacristán, * 1925, ✝ 1985; Gustavo Bueno, * 1924); Hermeneutik und Sprachphilosophie (Emilio Lledó, * 1927); analytische Philosophie seit den 1970er-Jahren (Javier Muguerza, * 1939). Eine von I. Kant, M. Heidegger und L. Wittgenstein bestimmte Metaphysik der Grenze entwickelte Eugenio Trías (* 1942).I. Höllhuber: Gesch. der Philosophie im span. Kulturbereich (1967);J. L. Abellán: Panorama de la filosofía española actual (Madrid 1978);J. L. Abellán: Historia crítica del pensamiento español, 7 Tle. (ebd. 1-21979-91);J. Muguerza: Ethik der Ungewißheit (a. d. Span., 1990);Ethik aus Unbehagen. 25 Jahre eth. Diskussion in Spanien, hg. v. J. Muguerza: (1991);Beitr. zur Philosophie aus Spanien, hg. v. V. Rühle (a. d. Span., 1992).
Universal-Lexikon. 2012.